Direkt zum Inhalt

Aus der ZeitschriftZBJV 3/2012 | S. 185–219Es folgt Seite №185

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung der Jahre 2010 und 2011 zum Verfahrensrecht der Sozialversicherung

Das dominante Thema in der Berichtsperiode bildete – wie sich bereits in den Vorjahren abzeichnete – die verfahrensrechtliche Einbettung und Behandlung der medizinischen Begutachtung, insbesondere im Verfahren der Invalidenversicherung. Mit den beiden in einem inneren Zusammenhang stehenden Entscheiden BGE 137 V 210 und BGE 136 V 376 hat das Bundesgericht, mit seltener Pointiertheit, den Verfahrensstandard in der medizinischen Begutachtung neu definiert und eindringliche Appelle an den Normsetzer gerichtet, organisatorische und verfahrensrechtliche Verbesserungen zu veranlassen. Es bleibt nun abzuwarten, welche Auswirkungen einerseits die mit BGE 137 V 210 verbundenen konkreten Praxisänderungen zeitigen werden und welche Schritte andererseits vom BSV und vom Gesetzgeber eingeleitet werden, um den angestrebten Verfahrensstandard umzusetzen. Es ist vorauszusehen, dass die medizinische Begutachtung auch in der nächsten Berichtsperiode zu den zentralen Themen zählen wird.

Ebenfalls im Zusammenhang mit der Sachverhaltsabklärung stehen die zwei zur Publikation vorgesehenen Urteile 8C_272/2011 vom 11. November 2011 und 8C_195/2011 vom 15. Dezember 2011. Sie konkretisieren die Praxis zur Zulässigkeit, Bedeutung und Würdigung der Observation von Versicherten (BGE 135 I 169 und BGE 132 V 231) und belegen erneut, dass es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt, welche Observationen in rechtsstaatlich geordnete Bahnen verweist.

Im Gegensatz zu früheren Jahren wurden in der Berichtsperiode keine Leitentscheide im Zusammenhang mit dem Einspracheverfahren veröffentlicht. Dies mag einerseits damit zusammenhängen, dass im bezüglich der Fallzahlen bedeutenden Invalidenversicherungsrecht mit der am 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Verfahrensrevision Aus der ZeitschriftZBJV 3/2012 | S. 185–219 Es folgt Seite № 186das Einspracheverfahren abgeschafft worden ist. Es ist aber auch denkbar, dass die in den vergangenen Jahren sehr reichhaltige und differenzierte Praxis des obersten Gerichts in diesem Gebiet hinreichende Klärung gebracht und zentrale Streitfragen entschieden hat.

Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf die wichtigsten Entscheide zum sozialversicherungsrechtlichen Verfahren aus den Jahren 2010 und 2011, die im Wesentlichen in den Bänden 136 und 137 der Amtlichen Sammlung publiziert worden sind.

Aus der ZeitschriftZBJV 3/2012 | S. 185–219 Es folgt Seite № 187

I. Sozialversicherungsverfahren

1. Beweistauglichkeit von Administrativgutachten der MEDAS

BGE 136 V 376

Sachverhalt: Der Rentenanspruch einer Versicherten wurde auf der Grundlage eines MEDAS-Gutachtens abgelehnt, was das kantonale Sozialversicherungsgericht schützte. Die Versicherte gelangte darauf mit…

[…]